Quelle: Spiegel Online vom 17.10.2014
Die Kernfusion, so lästern manche Physiker gern, sei die meistversprechende Technologie der Zukunft – und werde es auch immer bleiben. Zu oft schon wurden Durchbrüche verkündet, die keine waren. Jetzt aber wurde ein Projekt bekannt, das neue Hoffnungen auf eine unerschöpfliche und zugleich umweltfreundliche Stromquelle wecken soll: Der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin will nach vierjähriger Arbeit im Geheimen einen revolutionären Fusionsreaktor entwickelt haben. Bei einer Leistung von 100 Megawatt habe das Kraftwerk eine Größe von nur 7 mal 13 Metern. Und, noch verblüffender: Schon in einem Jahr sei eine Testversion des „Compact Fusion Reactor“ (CFR) möglich, in zehn Jahren gar ein marktreifes Kraftwerk.
Hinter dem Projekt steht Lockheeds Forschungsabteilung Skunk Works, offiziell Advanced Development Programs (ADP) genannt. Sie war bisher vor allem für die Entwicklung von Militärflugzeugen bekannt, darunter die Spionagejets U-2 und SR-71 „Blackbird“, der weltweit erste Tarnkappenbomber F-117 oder das Stealth-Jagdflugzeug F-22 „Raptor“ – allesamt Maschinen, die ihrer Zeit deutlich voraus waren. Als Top-Adresse der Plasmaphysik war Lockheed Martin dagegen bisher nicht bekannt.
Sollte stimmen, was die Skunk-Works-Forscher behaupten, stünde nicht nur die Energiebranche, sondern die gesamte Weltwirtschaft vor einer Revolution. Schiffe, Lkw und sogar Flugzeuge und Raumschiffe könnten künftig von winzigen Fusionsreaktoren angetrieben werden. Die geringe Größe ermögliche auch schnellere Entwicklungsschritte, meint Thomas McGuire, Leiter des Skunk-Works-Teams.
Der Brennstoff für die Kernfusion wäre praktisch unbegrenzt vorhanden. Deuterium kann aus Meerwasser, Tritium aus dem weithin verfügbaren Lithium gewonnen werden. Es gäbe außerdem so gut wie keinen radioaktiven Abfall, dafür aber Strom im Überfluss. Laut Lockheed könnte das 100-Megawatt-Kraftwerk ein ganzes Jahr lang mit 25 Kilogramm Brennstoff laufen.
Revolution durch Quereinsteiger?
Und nun wollen die Quereinsteiger von Skunk Works, angeführt von Luftfahrtingenieur McGuire, quasi aus dem Stand die Lösung gefunden haben? Bei dem Konzern scheint man davon überzeugt. Der Compact Fusion Reactor nutze ein „radikal neues Verfahren“ zur Plasma-Kontrolle, berichtet das US-Luftfahrtmagazin „Aviation Week“, das nach eigenen Angaben „exklusiven Zugang“ zu dem Experiment hatte.
Bei bisherigen Versuchsreaktoren soll die Kernfusion in einer ringförmigen Röhre, einem Torus, ablaufen, der von Magnetspulen umschlossen ist. Die Skunk-Works-Ingenieure wollen dagegen mehrere Spulen hintereinander im Inneren der Reaktionskammer platzieren, um ein Magnetfeld von anderer Geometrie zu erzeugen. Auf diese Weise soll der CFR zehnmal effizienter sein als die bisherigen, Donut-förmigen Reaktoren – und damit bei gleicher Leistung auch zehnmal kleiner.
Der „Aviation Week“-Bericht ist das bisher Ausführlichste, was über das Lockheed-Projekt mit der internen Bezeichnung „T4“ veröffentlicht wurde. Die offiziellen Verlautbarungen des Unternehmens selbst klingen in Vergleich dazu recht nebulös. Doch Lockheed Martin hofft offenbar, mit dem Reaktor Geld zu verdienen. Die Firma hat – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt -, mehrere Patentanträge gestellt, die im September publiziert wurden. Einer beschäftigt sich mit der magnetischen Plasmafalle, ein weiterer mit der Erhitzung des Plasmas und ein dritter mit der Kühlung der Bauteile im Plasma.